Musikverlagsdatenbank

Der älteste Notendruck der Welt?

Ein Notendruck, der auf den 6. März 187 datiert? Gut 1300 Jahre bevor Gutenberg den Buchdruck erfindet? Wie kann das sein? Und was machen wir damit?

Zu den schönsten Privilegien für Historiker*innen bei der Arbeit mit Quellen von Gebrauchs- oder Alltagscharakter gehört, dass man das unredigierte Handeln gewöhnlicher Menschen mit all seinem Charme und seinen Unzulänglichkeiten beobachten darf. Die Quellen für unsere Datenbank sind solche Gebrauchsgegenstände, und im beim Eintrag zum bei Rieter-Biedermann unter den Plattennummern 1186a-e herausgegebenen Werk Fünf Gesänge (op. 199) von Ferdinand Hiller mussten wir stutzen. Laut Kalkulationsbuch [II] fand der Erstdruck der Ausgabe am 6. März 187 statt. Haben wir es hier mit einem antiken Druck neutestamentlichen Alters zu tun? Waren die Rieter-Biedermanns Zeitreisende? Unsterblich gar? Oder handelt es sich dann doch bloß um einen Flüchtigkeitsfehler des/der Schreiber*in?

 

Als Historiker*innen wissen wir natürlich auch, wie weit wir unsere Quellen strapazieren dürfen und tendieren mithin stark zur letzten Deutungsmöglichkeit.  So merkwürdig oder unwahrscheinlich dieser Verschreiber auch ist (s.u.), wir können uns doch damit identifizieren: Wem von uns ist das – auch in der heutigen Zeit – noch nie passiert, dass man sich vertippt, sei es bei der Arbeit, im Studium oder in Whatsappnachrichten? Man möchte mit einem herzhaften „Covfefe!“ antworten.

Aber beim Bewundern und Genießen können wir es nicht belassen, denn für unsere Datenbank soll es ja annähernd korrekt sein, und das stellt die Datenerfasser*innen vor die Frage, wie ein mutmaßlich richtiges Datum zu ermitteln wäre? Tag und Monat scheinen hier hinreichend präzise angegeben. Nur die Jahreszahl muss erschlossen werden.

Wir schauen zunächst auf den Zusammenhang in der Quelle selbst. Jener deutet auf das Jahr 1882 hin. Dies kann man aus den Einträgen um die 1186a-e schließen: der Erstdruck des Werks unter der Nummer 1185 fand am 23. Dezember 1881 statt, der des Werks unter der Nummer 1187 am 17. März 1882. Wir schlussfolgern als erste These, dass unser Werk am 6. März 1882 gedruckt wurde.

Sicher können wir dadurch aber noch nicht sein: Einträge wider die Chronologie bzw. Vor- und Nachträge kommen in den Büchern immer wieder vor. Außerdem wirkt es bei „187“ wahrscheinlicher, dass sich bei „1887“ verschrieben wurde, oder dass hier eine 1879er Jahreszahl nicht vollendet wurde. Zumindest „1887“ können wir aber aufgrund von Ferdinand Hillers Lebensdaten wieder ausschließen. In der Zeile „Honorar“ unseres Geschäftsbuches heißt es „baar im Januar“, Hiller war aber schon 1885 verstorben.

Um unsere Thesen und Gegenthesen zu prüfen hilft mitunter ein Blick auf die Plattform Hofmeister XIX. Dort stehen die im 19. Jahrhundert geführten Monatsberichte des Hofmeisterverlags digital zur Verfügung, in denen im ein- oder zweimonatigen Rhythmus die Neupublikationen gedruckter Musikalien im deutschsprachigen Raum katalogisiert werden. In der Ausgabe vom April 1882 werden wir fündig:

 

Wir schließen: 6. März 1882 wird wohl das Druckdatum gewesen sein. Eine Latenz zwischen tatsächlichem Druckdatum und der Ankündigung in den Hofmeister-Berichten ist überaus normal (dazu mehr an anderem Ort). Wir können es so in unsere Datenbank eingeben.

Da das Datum aber ermittelt ist, müssen wir das der Datenbank auch noch zu verstehen geben. In einer Edition würde man eckige Klammern setzen, was aber für die Datenbank nicht ganz so einfach ist, denn die Algorithmen, die am Ende die Daten auswerten soll, tun sich schwer, wenn Zahlen und Sonderzeichen zusammengeschmissen werden. Wir geben die Zahlen deshalb normal ein, setzen eine Checkbox (siehe Datenbankrichtlinien!), et voilà, wir sehen auf der Nutzeroberfläche eckige Klammern, die den Algorithmen vorenthalten bleiben.  Und so sieht die Übersetzung in das Backend unserer Datenbank aus:

 

Bei solchen Datierungs- und Dechiffrierungs-Fragen, die wir uns tagtäglich stellen müssen (wenn auch nicht immer in solch kurioser Form), gehört der Hofmeister-Katalog tatsächlich zu den robustesten und solidesten Soforthilfemitteln, die uns zur Verfügung stehen. Allerdings: Damit lassen sich Veröffentlichungsdaten immer nur näherungsweise erschließen, zur präzisen Datierung taugt er nur bedingt. Das soll unsere Datenbank besser können – vorausgesetzt, wir können alle Daten entziffern.